DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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           Anton Szanya:
Hellenische Bildung
                          Aus: Vom Gymnasion ins Museion

Die Rhetorik-Schule des Isokrates

Einer unter den vielen Verlierern des Peloponnesischen Krieges war Isokrates. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, die es ihm ermöglichte, bei Gorgias aus Leontinoi zu studieren. Am Ende des Krieges verlor er sein Vermögen und musste sich um einen Brotberuf umsehen. Eine politische Laufbahn, die für ihn standesgemäß gewesen wäre, war ihm wegen seiner schwachen Stimme und seines schüchternen Auftretens verschlossen. Er konnte aber das bei Gorgias Gelernte anwenden, als er sich als logographos, als Schreiber von Gerichtsreden, verdingte. Vor Gericht verfasste er für Prozessparteien Reden, die von diesen auswendig gelernt und selbst vorgetragen werden mussten. Er war als Redenschreiber sehr erfolgreich und entschloss sich doch im Jahr 390, seinen Beruf aufzugeben und eine Rhetorik-Schule zu eröffnen. In einem drei bis vier Jahre dauernden Studiengang bildete er 15- bis 18-jährige Schüler heran, wofür er eine Studiengebühr von 1000 Drachmen einhob. Seine Rhetorik-Schule erwarb sich bald einen hervorragenden Ruf, sodass er Schüler aus fast dem ganzen griechischen Sprachgebiet bekam, von denen einige erfolgreiche Politiker wurden.

Der Lehrplan des Isokrates für seine Schule beinhaltete Staatstheorie, Naturwissenschaften, Mathematik, Geschichte, Literatur und Religion. Diese umfassende Bildung sollte die Schüler dazu befähigen, in jeder Situation und bei der Behandlung jedes Themas mit „ihren Vermutungen dem für die jeweilige Sachlage Angemessenen näher zu kommen“ (*1). Diesem Zwecke dienten auch die Unterrichtsmethoden. Grundlage war das Auswendiglernen von Musterreden. Wir dürfen annehmen, dass vor allem Isokrates-Reden auswendig gelernt werden mussten. Die Schüler hatten die verschiedenen Elemente der Rhetorik in selbständiger Arbeit miteinander zu verbinden und in eine ästhetische Form bringen. In Übungsvorträgen wurden diese Fertigkeiten sowie auch Gestik und Stimmführung beurteilt.

Eine Grundannahme des Isokrates war, dass die Wahrheit unerkennbar wäre. Das Äußerste, was der Mensch erkennen kann, sind Wahrscheinlichkeiten. Isokrates leugnete die Erkenntnismöglichkeit nicht grundsätzlich, aber er sah besonders klar die dem Menschen gegebenen Erkenntnisgrenzen. Das den Schülern vorgegebene Ziel war der Erwerb einer humanistischen Bildung, die vom Gut-Denken zum Gut-Reden und schließlich zum Gut-Handeln führen sollte. Diese Form der Bildung sah Isokrates auf alle Lebensverhältnisse und alle Berufe anwendbar. Er brachte dies so zum Ausdruck, dass er verlangte, die Philosophen müssten die Menschen, „die um uns sind, in den Tätigkeiten unterweisen, in denen wir uns als Bürger betätigen, sie müssen diese darin Erfahrungen machen lassen und dabei bedenken, dass es wohl viel besser ist, über Nützliches einigermaßen Bescheid zu wissen als über unnütze Dinge etwas ganz genau wissen und eher nur ein wenig in wichtigen Dingen hervorzuragen als in unbedeutenden Dingen, die ohne Wert für das Leben sind, überragend zu sein“ (*2). Mit anderen Worten erachtete er es als vordringliche Aufgabe des Philosophen, „den jungen Bürgern Sachwissen, Techniken und Strategien der politischen Auseinandersetzung [zu] vermitteln, um sich zum eigenen Wohl und zum Wohl der Gemeinschaft im politischen Tagesgeschäft durchsetzen und behaupten zu können“ (*3).

Die Akademie Platons

Platon entstammte einer altadeligen Familie, die sich in der väterlichen Linie bis zu Kodros, dem sagenhaften letzten König Athens, zurückführte und mütterlicherseits den Staatsmann Solon (~640-559) zu ihren Vorfahren zählte. Seine Kindheit und Jugend war überschattet vom Peloponnesischen Krieg und von den politischen Wirren nach der Niederlage Athens. Zu deren Spätfolgen zählte die Hinrichtung von Sokrates. In Platons Augen waren der Asebie-Prozess gegen seinen Lehrer und dessen Tötung der Ausfluss einer von Gefühlen und Leidenschaften gelenkten Willkürjustiz. Auch der Sieg Spartas, die grundsatz- und gesinnungslose Politik Athens, die einen Alkibiades im Jahr 415 als Landesverräter verjagte, ihn sieben Jahre später triumphal heimholte, die gegen ihn anhängigen Verfahren niederschlug und ihn schließlich doch wieder vertrieb, ließen Platon zum Feind der Demokratie und zu einem Anhänger einer autoritären Staatsform nach dem Vorbild des spartanischen kosmos werden.

Nach Jahren im Ausland kehrte Platon nach Athen zurück. Im Jahre 387 kaufte er ein weitläufiges Grundstück in der Nähe des Heiligtums des Akademos, eines sagenhaften Helden, der Athen gerettet haben soll. Er begründete in bewusstem Gegensatz zu Isokrates seine eigene Philosophenschule, die nach dem Ort - „Akademie“ - genannt wurde. Sie lag in einem großen Parkgelände und bestand außer den Lehrgebäuden aus Tempeln und SpeertraegerSportstätten. Sie war eine elitäre Einrichtung, die nur Söhne aus vornehmen Familien besuchen konnten. Nur Personen aus wohlhabenden Adelsfamilien konnten sich in einer Gemeinschaft von Forschenden, Lehrenden und Lernenden mehrere Jahre der Astronomie, Mathematik, Philosophie und Staatstheorie widmen. Neben Platon lehrten an der Akademie noch Aristoteles, Speusippos (~410/407-339/338) und Xenokrates (396/395-314/313). Das Gemeinschafsgefühl unter den Schülern und Lehrern der Akademie wurde durch die gemeinsamen Mahlzeiten und ein monatlich stattfindendes Symposion gefördert. Dazu kamen die Feiern zum Geburts- und zum Todestag des Sokrates. Nach Platons Tod wurden auch die Lebensdaten des Schulgründers regelmäßig gefeiert. Die Schüler der Akademie fühlten sich als hohe Elite. Die Komödiendichter von Athen verspotteten sie wegen ihrer hochtrabenden Sprache und ihres geckenhaften Auftretens.

Platon hatte seine Schule so angelegt, dass sie ihn überleben konnte. Er hatte seinen Nachfolger als Schulleiter testamentarisch bestimmt. Später wurden die Scholarchen - die Schulleiter - von der Akademiegemeinschaft gewählt. Die Akademie bestand bis zum Jahr 85. Im Zuge des ersten Krieges Roms gegen König Mithridates VI. (143-63; König seit 120) von Pontos, dem sich die Hellenen in der Hoffnung, die römische Herrschaft abschütteln zu können, angeschlossen hatten, wurde Athen durch den römischen Politiker und Heerführer Lucius Cornelius Sulla (138-78) belagert und weitgehend zerstört. Den Zerstörungen fiel auch die Akademie zum Opfer. Später kam es zu mehreren Neugründungen, bis der letzten Akademie im Jahr 529 n.d.Z. durch Kaiser Iustinian (482-565; Kaiser seit 527) der Lehrbetrieb untersagt wurde.

Wie bekannt, widmete sich Platon ausführlich der Staatstheorie. In dem Dialog »Politeia« ist das Bild eines hierarchisch streng gegliederten Staatswesens gezeichnet, an dessen Spitze die „Philosophen-Könige“ stehen. „Wenn nicht die Philosophen in den Staaten Könige werden oder die Könige […] und Herrscher echte und gute Philosophen und wenn nicht in eine Hand zusammenfallen politische Macht und Philosophie […], gibt es […] kein Ende des Unglücks in den Staaten […]“(*4) Unter den Philosophen-Königen steht die Armee der Wächter, die zugleich die allgegenwärtige Geheimpolizei ist. Auf den nächst unteren Rängen finden sich die verschiedenen Berufsgruppen. Die Ähnlichkeit dieses Staatsmodells mit dem spartanischen kosmos ist augenfällig. Dies umso mehr, als in Platons Musterstaat vielfältig begabte Menschen unerwünscht waren. Diese „würden wir in einen anderen Staat geleiten […] – selber aber wollen wir zufrieden sein mit einem strengeren und herberen Dichter und Erzähler – wegen des Nutzens“ (*5). Schon Sparta war kein Hort der Künste und der Genialität. Der Nutzen des „strengeren und herberen Dichters“ – möglicherweise hatte Platon Tyrtaios im Auge – lag darin, dass er die starre Staatsordnung akzeptierte. Denn „wenn der Erwerbsmann, der Gehilfe und der Wächter, jeder das Seine im Staate macht, dann ist es […] Gerechtigkeit und macht den Staat gesund“ (*6). Ein solcher Staat würde nicht wie Athen in demokratische Verwirrung verfallen.

Die im Idealstaat gehütete Veränderungslosigkeit ist ein Grundanliegen der Platonischen Philosophie. Auf der Suche nach dem festen Halt wandte sich Platon gegen die Sophisten, die die Wahrheit für unerkennbar hielten und dies durch viele Spitzfindigkeiten in ihrer Argumentationskunst demonstrierten. Nach Ansicht Platons zerstörten sie damit jedwedes Fundament einer gesicherten Erkenntnis.
Bei der Grundlegung seiner Philosophie ging Platon in die Zeit des achten Jahrhunderts (die der Adelsherrschaft) und noch früher zurück und knüpfte an dem damaligen Verständnis von Wahrheit an. Das griechische Wort für Wahrheit, alētheia, bezeichnet das Endergebnis eines Tuns, nämlich etwas aus der Vergessenheit, lēthē, wieder in die Wirklichkeit zu heben. In alter Zeit war dies die Aufgabe der Sänger und Dichter. „Das poetische Wort ist ein wirksames Wort, das hervorbringt, was es sagt. […] Diese Performativität des sich auf die alētheia beziehenden Wortes gilt nicht nur für das Loblied, sie bewahrheitet sich auch in anderen Bereichen, vor allem dem der Mantik (das Wort des Orakels vollbringt, was es verkündet) und dem des Rechts (derjenige, der befugt ist, das Rechte zu sagen […], verwirklicht es, indem er das Urteil spricht). Kurz, dieses wirksame Wort ist eine physische Realität, ein Teil der Naturkräfte.“ (*7) In der Platonischen Vorstellung wurden die aus der lēthē gehobenen Begriffe durch das Wort zwar jeweils materialisiert, waren aber immateriell ständig als Ideen gegeben.

Den Sophisten, deren Unterricht auf praktische Nutzanwendung abzielte, sprach Platon das Philosophentum ab. Mehr noch. Da sie Geld für ihren Unterricht nahmen, stellte er sie auf eine Stufe mit den von ihm gering geschätzten Kaufleuten und Händlern. „Ist Heraklesnichtzufällig […] der Sophist ein Großhändler oder Krämer von Waren mit denen die Seele sich nährt? […] Wovon aber ernährt sich die Seele? Von Kenntnissen doch wohl. Und dass ja nicht […] der Sophist uns hintergeht, indem er anpreist, was er verkauft, wie die für die Nahrung des Körpers Zuständigen, der Großhändler und der Krämer. Denn wohl auch sie wissen bei den Waren, die sie vertreiben, weder selbst, was nützlich oder schädlich für den Körper ist – sie preisen alles an, was sie verkaufen […].“(*8) Der wahre und echte Philosoph ist nach Platons Ansicht nur jemand, der sein Wissen unentgeltlich anderen mitteilt. Als glanzvolles Beispiel hierfür stellte er seinen Lehrer Sokrates dar, der aber in Wahrheit Schulgeld genommen hatte.

Das Lykeion des Aristoteles

Aristoteles wurde in Stageira auf der Halbinsel Chalkidike geboren. Sein Vater war Leibarzt des makedonischen Königs. Auch seine Mutter stammte aus einer Ärztefamilie. Im Jahr 367 kam Aristoteles nach Athen, wo er an der Akademie Platons seine Studien und nach einigen Jahren auch seine Lehrtätigkeit aufnahm. Nach dem Tod Platons verließ Aristoteles Athen und ging zunächst nach Kleinasien, ehe er im Jahr 343/342 die Stelle als Erzieher des makedonischen Prinzen und nachmaligen Königs Alexander annahm, die er etwa vier Jahre lang bekleidete. Im Jahr 335/334 kehrte er nach Athen zurück, wo er eine eigene Schule, das Lykeion (*9) gründete. Da er kein Athener war, bedurfte er der Unterstützung durch Athener Freunde, die als Strohmänner den Grundkauf und die Errichtung der Baulichkeiten übernahmen und pro forma den Scholarchen stellten. Da Aristoteles begütert war, trug er einen Großteil der Kosten für die Einrichtung der Schule selber. Erst sein Schüler Theophrastos aus Eresos (371-287) erhielt das athenische Bürgerrecht und konnte selber als Scholarch auftreten. Im Jahr 323/322 verließ Aristoteles abermals Athen, als nach dem Tod des Königs Alexander III. (356-323; König seit 336) antimakedonische Unruhen aufflammten. Er zog nach Euboia, wo er kurz darauf starb.

Im Lykeion entfaltete sich eine Forschungs- und Lehrtätigkeit, die sich von der philosophischen Fragestellung über naturwissenschaftliche Forschung bis zur politischen Theorie erstreckte. Aus dieser umfassenden, wissenschaftlichen Arbeit lösten sich verschiedene Einzelwissenschaften aus der Philosophie heraus. Aristoteles hatte selbst ein naturwissenschaftliches Interesse, sein Nachfolger Theophrastos beschäftigte sich mit Botanik und Straton aus Lampsakos (~340-268) forschte auf physikalischem Gebiet. Bei wissenschaftlichen Problemen zog man im Lykeion die empirische Herangehensweise der spekulativen allemal vor. Im philosophischen Unterricht der Antike war es üblich, an einen Vortrag eine Diskussion anzuschließen, um dadurch die Denk- und Kritikfähigkeit zu fördern. Das Lykeion wurde darin vorbildlich. Diese Lehrmethode entsprach einem Grundzug des hellenischen Wesens, der Agonalität. Jeder Teilnehmer versuchte, durch besonders scharfsinnige und geistreiche Beiträge aufzufallen, bei Diskussionen, die in Wandelhallen – peripatoi – stattfanden, sodass sich für das Lykeion auch der Name „Peripatos“ einbürgerte. Neben einem Peripatos in der ursprünglichen Bedeutung verfügte das Lykeion über eine große Bibliothek und über Sammlungen von Landkarten und naturgeschichtlichen Objekten.


Akropolis


(*1) Isokrates, Antidosis, Abschn. 184
(*2) Isokrates, Lobrede auf Helena, 4 f.
(*3) Peter Scholz, Der Philosoph und die Politik. Die Ausbildung der philosophischen Lebensform und die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Politik im 4. und 3. Jh. v. Chr., Stuttgart 1998, 38.
(*4) Platon, Politeia, V, 473 d. Viele der ‚Schüler durften diesen Satz insofern auf sich bezogen haben, als sie als philosophisch gebildete Politiker sich allenthalben zu Tyrannen aufschwangen:
  Kalippos (~390-352) ermordete Dion (409-354), den Tyrannen von Syrakus, und setzt sich an seine Stelle.
  Klearchos (~390-353) wurde Tyrann von Herakleia.
  Chion ermordete Klearchos und folgte ihm als Tyrann nach.
  Chairon wurde Tyrann von Pelene.
  Eurostratos und Choriskos wurden nacheinander Tyrannen von Skepsis.
Hermeias (gest. 343) wurde Tyrann von Atarneos und Assos.
(*5) Platon, Politeia, III, 398 a
(*6) Platon, Politeia, IV, 434 c.
(*7) Hénaff, Der Preis a. a. O., 19.
(*8) Platon, Protagoras, 313 c-e
(*9) Die Schule lag in der Nähe eines Apollon-Heiligtums, das mit Skulpturen von Wolfsköpfen – lykos, der Wolf – geschmückt war und daher Lykeion genannt wurde.